Seit mehr als neun Jahren fotografiert der US-Amerikaner George Steinmetz an seinem Megaprojekt „Feed the Planet“.
Derzeit leben knapp 8 Milliarden Menschen auf der Erde und alle wollen und müssen essen. George Steinmetz geht in seinem Projekt der Frage nach, wie und wo die verschiedensten Lebensmittel angebaut werden, welche Ideen und Lösungen es für den derzeitigen und den künftigen Nahrungsmittelbedarf gibt. Warum und wie er sich dem Thema genähert hat und wie es in seinem eigenen Kühlschrank aussieht, dass erzählt er im Interview.
horizonte zingst: George, wie nahm das Projekt „Feed the Planet“ seinen Anfang?
George Steinmetz: Das “Feed the Planet”-Projekt hat 2013 mit einem Auftrag von National Geographic angefangen. Ich habe für das Magazin eine Serie darüber fotografiert, wie wir Menschen mit den zukünftigen Anforderungen an unsere Nahrungsversorgung umgehen können.
Und direkt in der ersten Woche meiner Arbeit, als ich gerade Luftaufnahmen von einer Fütterung auf einem Viehhof machte, wurde ich festgenommen und ins Gefängnis in Garden City (Kansas) gesteckt. Das hat mir die Augen geöffnet – und zwar dafür, dass gewisse Aspekte unseres Nahrungsmittelsystems bewusst vor der Öffentlichkeit versteckt werden.
Und da habe ich dann den Entschluss gefasst, dass es einer genaueren Dokumentation dieser Nahrungsmittelsysteme bedarf.
Was interessiert dich an dem Thema?
Am Thema Nahrung interessieren mich zwei Dinge. Erstens hat Landwirtschaft einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt – und zwar auf eine Art und Weise, die den meisten von uns schlicht nicht bewusst ist.
Dabei haben wir Menschen bereits ca. 40 % der Erdoberfläche für die Produktion unserer Nahrungsmittel verändert. Und sie verbraucht 70 % der Süßwasservorräte und ist noch dazu für 35% der Treibhausgasemissionen verantwortlich, die wir Menschen verursachen. Wenn wir mehr Informationen darüber bekommen, wie unsere Nahrungsmittel produziert werden, können wir bessere Entscheidungen treffen.
Denn die Nahrungsmittelindustrie produziert nur das, was wir auch konsumieren, und der kumulative Effekt unserer individuellen Entscheidungen ist wirklich enorm. Zweitens finde ich Nahrungsmittelsysteme aus meiner Perspektive als Fotograf einfach visuell spannend. Ganz besonders faszinieren mich Perspektiven aus größerer Distanz und die geografischen Formen, die erst aus der Höhe erkennbar werden.
Warum ist das Thema Ernährung relevant für die Zukunft?
In meinem Projekt geht es nicht um Ernährung an sich, sondern vielmehr um die Entscheidungen, die wir diesbezüglich treffen – und um deren Konsequenzen. Moderne industrielle Landwirtschaft hat so stark an Einfluss gewonnen, dass wir durch unsere Ernährung im Grunde buchstäblich die Biosphäre abernten.
Inwieweit ist die Ernährung auch ein Teil dieses großen Überbegriffs Nachhaltigkeit?
Die Art, wie wir uns als Menschheit ernähren, ist einer der größten Hebel, die wir bedienen können, wenn wir unsere Lebensweise nachhaltiger machen wollen. Denn die Landwirtschaft, die für sieben Milliarden Menschen jeden Tag Nahrung hervorbringt, ist vermutlich der größte Einzelfaktor, den wir beeinflussen können. Und das tolle ist: Da kann jeder und jede mitmachen.
Wie gehst du bei deiner Recherche und dem anschließenden Fotografieren vor?
Ich fange damit an, mir Statistiken anzuschauen, um die größten Produzenten verschiedener Nahrungsmittel in unterschiedlichen Ländern sowie deren Produktionsmittel zu finden. In den meisten Fällen haben die größten Produzenten deshalb expandiert, weil sie ganz einfach am effektivsten in dem sind, was sie tun – und diese Effizienz sorgt für wirklich überraschende Fotos.
Sehr viel Zeit verbringe ich auch mit visueller Recherche – und damit, Google Earth zu durchforsten. Dann berate ich mich auch mit unterschiedlichsten Expertinnen und Experten und arbeite mit lokalen Forscherinnen und Forschern in verschiedenen Ländern zusammen. Interessant finde ich auch, wie die Landwirtschaft sich entwickelt. Dazu gehört auch, dass ich althergebrachte landwirtschaftliche Methoden dokumentiere, bevor sie vollständig in Vergessenheit geraten.
Welcher Teil deines Projektes war für dich am aufschlussreichsten?
Was mich am tiefsten bewegt hat, war die Erkenntnis, dass der Regenwald des Amazonas für die Produktion unserer Nahrungsmittel zerstört wird. Der größte Teil wird abgeholzt, um Waldgebiete in Viehzuchtbetriebe und Sojabohnenfarmen zu verwandeln – von deren Erträgen ein Großteil exportiert wird. Weil die Menschen in den sich entwickelnden Teilen der Welt immer mehr Einkommen erhalten, gibt es eine immer größere Nachfrage nach Proteinen. Und wenn sie kein Fleisch importieren, kaufen sie Getreide, um ihre eigenen Fisch- und Viehzuchtbetriebe zu versorgen.
Wenn der Rest der Welt den gleichen Anteil an Proteinen konsumiert, wie zum Beispiel wir in Europa oder den USA es tun, ist es mir ein Rätsel, wie wir die Versorgung sicherstellen wollen, ohne gleichzeitig den Großteil der wilden Tierwelt und der Natur unseres Planeten auszulöschen. Die Situation der Regenwälder ist besonders prekär. Sie sind die „Lungen des Planeten“ und machen einen Großteil der globalen Biodiversität aus. Und mittlerweile emittiert ihre rapide Zerstörung mehr Treibhausgase, als diese Wälder früher einmal absorbiert haben.
Welche Erkenntnis aus dem Projekt ist für dich am wichtigsten?
Das Wichtigste, was ich mitgenommen habe, ist, dass wir alle Teil eines großen globalen Systems sind, das auf vielen versteckten Kosten und Wechselwirkungen beruht. Die Garnelen, zum Beispiel, die man in einer spanischen Paella bekommt, sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf einer tropischen Fischfarm in Südostasien oder Ecuador produziert worden – und sie wurden mit einer Mischung aus Sojabohnen aus dem Amazonasgebiet und Fischmehl aus den überfischten Gewässern Perus gefüttert.
Man braucht viele Kilo wilder Meerestiere, um ein halbes Kilo Garnelen zu produzieren. Und dann ist da noch der CO2-Fußabdruck, den der ganze internationale Handel mit sich bringt. Diese Strukturen und Nahrungsmittelketten verstecken sich hinter einem Großteil der Lebensmittel, die wir essen, und besonders hinter den verarbeiteten Lebensmitteln. Es ist ein extrem komplexes System, und der Preis für die Umwelt ist gewaltig und sehr schwierig zu überblicken, besonders weil alles so wenig transparent ist.
Wie geht es weiter mit „Feed the Planet“?
Ich habe über die letzten acht Jahre an „Feed the Planet“ gearbeitet, und ich werde versuchen, das Projekt dieses Jahr abzuschließen. Ich möchte ein Buch herausbringen und die Fotos auf Ausstellungen wie dieser hier präsentieren. Es ist so wichtig, dass die Öffentlichkeit mehr über unsere Nahrungsmittelsysteme erfährt, damit wir Menschen endlich anfangen, über den Einfluss, den unsere Entscheidungen haben, nachzudenken. Denn wir alle treffen dreimal am Tag eine Wahl mit unserer Gabel – und die muss einfach auf einem größeren Hintergrundwissen basieren.
Und last, but not least: Wie sieht der Inhalt deines eigenen Kühlschrankes nach all den Jahren „Feed the Planet“ aus?
Wir haben drei Kinder in unserer Familie – deshalb gibt es keine Kühlschrank-Monarchie. Meistens kocht meine Frau, und daher habe ich nur beschränkte Mittel, mich einzumischen – denn der Preis dafür wäre, dass ich der Familienkoch werden müsste.
Ich reise viel, und manchmal, wenn ich nach Hause komme, stehen da die Dinge, die meine Kinder nun einmal lieben, wie zum Beispiel Nutella (das eine Menge Palmöl enthält – und das hat leider einen großen Anteil an der Zerstörung des Regenwaldes). Jedes Mal, wenn ich es in der Vorratskammer finde, landet es im Müll.
Ich versuche auch, auf den Kauf von Mandeln zu verzichten, da jede einzelne Mandel knapp vier Liter Wasser zum Wachsen braucht. Während der wärmeren Jahreszeiten versuchen wir, Nahrungsmittel vom Wochenmarkt zu kaufen, wenn es dort Lebensmittel und Fleisch aus der Region gibt. Als unsere Kinder klein waren, haben wir Biomilch gekauft. Wir hatten Sorge, dass die Hormone, die Milchkühen gegeben werden, nicht gut für unsere Kinder sein könnten.
Mein persönlicher Kühlschrank sieht im Grunde ähnlich aus, aber es landen viel weniger Nahrungsmittel im Mülleimer oder im Abfluss. Meine Kinder können ihren Augen immer nicht trauen, wenn sie sehen, was ich da esse, denn ich brauche nahezu alles auf, was übrig geblieben ist… alten Reis, Obst mit braunen Stellen usw.
Im Supermarkt schaue ich ganz genau, wo die Nahrungsmittel produziert worden sind. Insbesondere bei Obst und Gemüse, das gerade nicht Saison hat, nehme ich das, was die kürzesten Distanzen zurückgelegt hat, um den CO2-Fußabdruck zu verringern.
Das Interview führte Edda Fahrenhorst per E-Mail
Webseiten des Fotografen:
https://www.georgesteinmetz.com/
https://www.feedtheplanet.earth
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