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"Fotografie ist mehr als ein eingefrorener Moment in der Zeit" Reise in die Vergangenheit

"Fotografie ist mehr als ein eingefrorener Moment in der Zeit"

Die Geschichten ihres Großvaters haben Suzan Pektaş dazu veranlasst, sich nach 25 Jahren auf fotografische Spurensuche in ihr Heimatland zu begeben.

"Ich will dabei mich selbst entdecken und nach meinem Bild als Frau, Mutter und Einwanderin suchen – all das spiegelt sich in meinen Motiven wider", verdeutlicht Suzan Pektaş. Im Interview spricht sie ausführlich über ihr Projekt, deren Beweggründe und darüber, welche Bedeutung sie der Fotografie beimisst.

horizonte zingst: Was ist die Fotografie für Sie?

Suzan Pektaş: Seit ich in meiner Studienzeit begonnen habe zu fotografieren, ist die Fotografie für mich ein einzigartiges Medium, um mich auszudrücken, um kreativ zu sein. Mit der Zeit entwickelte sich die Fotografie zu einer sehr persönlichen Erfahrung und ist nun ein großer Teil meiner aktuellen Arbeit. Ich will mich selbst entdecken und nach meinem Bild als Frau, Mutter, Einwanderin suchen – all das spiegelt sich in meinen Motiven wider. Ich liebe auch die Art und Weise, wie die Fotografie mich verändert und wie ich mich fühle, während ich fotografiere, vielleicht bin ich sogar ein wenig süchtig danach. Denn: Ich fühle mich mutiger, neugieriger, als ob ich alles tun könnte. Es ist eine echte Leidenschaft, meine eigenen Sinne zu erweitern, mich zu pushen, ein bisschen mehr von mir selbst zu visualisieren. Ich habe das Gefühl, dass ich durch diese Reise zu einem besseren Menschen werde, was meine Leidenschaft für die Fotografie noch verstärkt.

Suzan Pektaş erzählt die Geschichte ihres Großvaters auf englisch.

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Warum ist die Fotografie das richtige Medium, um die Geschichte „Dreams The Black Sea“ zu erzählen?

Fotografie ist mehr als ein eingefrorener Moment in der Zeit. Sie ist ein Katalysator, der eine Kettenreaktion im Kopf auslöst und schließlich eine Geschichte entstehen lässt, die dem Betrachter ebenso gehört wie dem Fotografen. Die Fotografie fängt einen Bruchteil einer Sekunde ein. Man weiß nicht, was vorher oder nachher passiert ist, und doch findet man Erzählungen, die eine lange Zeit überdauern. „Dreams The Black Sea“ ist aus den Überresten meiner Vergangenheit entstanden, und ich wollte einen Mythos darum herum aufbauen, der Generationen überdauern kann. Ein Mythos, der nicht nur mich widerspiegelt, sondern auch den Betrachter, wer auch immer er/sie ist.

Ihre Arbeit ist eine Mischung aus inszenierten und dokumentarischen Bildern – warum?

In den letzten Jahren habe ich viel darüber nachgedacht, was Dokumentarfotografie ist, beziehungsweise auch Bedenken über die 'reine' Dokumentarfotografie, die bestimmten 'Regeln' folgt, entwickelt. Diese Bedenken sind aus der Beobachtung dessen entstanden, was mit der Dokumentarfotografie geschieht, und historisch gesehen, was Dokumentarfotografie ist. Muss sie eine mimetische oder naturalistische Reproduktion der Realität sein? Oder kann sie ein erzeugter Prozess sein, ein Katalysator für eine andere Realität, anstatt ebenjene zu repräsentieren? Eine Realität, die die eigene subjektive Erfahrung direkt oder als Metapher in die Fotografie einfließen lässt? „Dreams The Black Sea“ ist im Wesentlichen eine dokumentarische Arbeit – nicht im traditionellen Sinne, sondern ein Produkt der Überarbeitung meiner Ansicht darüber, was es bedeutet, eine Geschichte zu erzählen, und der Frage, was die 'wahre' Geschichte ist. In diesem speziellen Projekt ist es meine persönliche Geschichte, die sich vor 25 Jahren ereignet hat, die Geschichte des Lebens an der Küste, verwoben mit der Mystik der Geschichten meines Großvaters. All das ist sehr schwierig zu erzählen, weil nichts wirklich 'passiert'. Es ist, als würde man das Unsichtbare fotografieren, Zeuge der Vergangenheit sein – das ist eine große Herausforderung. Ich verfolgte einen zeitgenössischen Ansatz der Dokumentation, der auf Symbolen, Metaphern, inszenierten Aufnahmen, traditionellen Dokumentarstücken und Fiktion aufbaut. Als generelle Haltung bin ich auf der ständigen Suche nach neuen Methoden des fotografischen Ausdrucks. Ich mag es, die Grenzen zu verschieben und neue Möglichkeiten zu erforschen. Der eigentliche Reiz für mich in diesem Prozess liegt in dem transformierenden Momentum. Alles ist miteinander verbunden, das emotionale Land des Künstlers, die Interaktion des Einzelnen mit der Umwelt, die Art und Weise, wie wir schauen und sehen.

Wie sind Sie praktisch und fotografisch vorgegangen?

Die Geschichten meines Großvaters und ihrer Figuren, denen ich als Kind zugehört hatte, haben sich mit der Zeit in eine persönliche bunte Mythologie meiner fernen Vergangenheit verwandelt. Und sie leiteten mich beim Erzählen meiner eigenen Geschichte, als ich 25 Jahre später mein Heimatland besuchte. Ich fand meine Kindheitsfreunde, entfernte Familienmitglieder, Nachbarn und ich wollte, dass dies ein unvergessliches Erlebnis für mich und für sie wird. Ich wollte die eher surrealen und magischen Aspekte unseres täglichen Lebens hervorheben, um meine Verbindung zu diesen besonderen Orten spürbar zu machen. Die Figuren meines Großvaters haben mir dabei geholfen. Sei es eine Frau in Rot, jemand, der auf dem Meer schwimmt oder ein kopfloses Pferd. Manchmal haben Menschen, die ich kenne, manchmal jemand, den ich zufällig auf der Straße getroffen habe, diese Rollen übernommen, bewusst oder unbewusst.

Für das Projekt unternahm ich mehrere Reisen an der Schwarzmeerküste in fünf Ländern: Bulgarien, Rumänien, Ukraine, Türkei und Georgien. Besonders bemerkenswert waren die Momente, die ich mit Freunden und Familie hatte. Wir isolierten uns, indem wir Geschichten aus der Vergangenheit erzählten, was in vielen Fällen zu einer Performance wurde, einem Tanz vielleicht. Es hat mir Spaß gemacht, kleine Geschichten in ihren Interpretationen zu finden. Dann fing ich an, so zu fotografieren, wie ich mich in diesem Moment fühlte, und sie verwandelten sich in anonyme Figuren meiner Geschichte.

Ich war schon immer ein schüchternes Kind, das immer nur aus dem Augenwinkel beobachtete, was mir die Gabe verlieh, die Menschen zu bemerken, die in sich selbst verloren sind. Das erlaubte mir, einen sprachlosen Dialog mit diesen in Bildern verkörperten Charakteren zu führen.

Zusätzlich habe ich die Kommunikation zwischen Licht, Schatten und Farbe als Werkzeug genutzt, um die dramatische Atmosphäre zu verstärken. Ich wollte meine Protagonisten bei der Interaktion mit ihrer Umgebung auf einer inneren Reise einfangen. Dabei habe ich auch viel mit Farbe gearbeitet, um über die Geheimnisse dieser Reisen zu sprechen. Farbe fungiert für mich als ein ausdrucksstarkes und transformierendes Werkzeug, das dokumentarische Stücke mit inszenierten vermischt.

Ich denke, dass die „Dreams The Black Sea“-Serie die Grenzen zwischen Dokumentarfotografie, kreativem Ausdruck und bildender Kunst verwischt und dadurch außerdem einen cineastischen Touch bekommt.

An welche Situation erinnern Sie sich am meisten?

Ich glaube, dass die Vergangenheit eng damit verbunden ist, wie wir uns heute fühlen - sie ist nicht fixiert, sondern hat eine dynamische Natur, die mit unserer Gegenwart verbunden ist. Wir vergessen und erinnern uns ständig, jedes Mal mit einer neuen Note. Diese Sichtweise befreit mich von einer kalten, starren Realität. Ich bin zwar mit meiner Vergangenheit verbunden, aber auch frei von ihr, da ich sie mit meinen visuellen Erzählungen transformieren kann. Das habe ich bemerkt, als ich auf meinen Reisen die Geschichten meines Großvaters erzählte. Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob ich die Geschichten meines Großvaters erzähle oder meine eigenen. Das Ganze verwandelte sich in eine befreiende performative Aktivität.

Suzan Pektaş erzählt die Geschichte ihres Großvaters auf türkisch.

Warum haben Sie aus „Dreams The Black Sea“ ein Buch gemacht?

Ich denke, ein visuelles, poetisches Buch ist eine sehr effektive Art der zusammenhängenden Präsentation von „Dreams The Black Sea“. Außerdem ermöglicht ein Buch die Interaktion mit dem Betrachter auf persönlichere Weise – ich finde, dass Berührungen ein wichtiger Kommunikationskanal sind, und ich wollte auf jeden Fall, dass man meine Fotografien in der Hand hält.

Last but not least: Was verbinden Sie mit dem Umweltfotofestival »horizonte zingst“?

Agnés Varda (Regisseurin, Fotografin und Installationskünstlerin) sagte einmal: "Wenn wir die Menschen öffnen würden, würden wir Landschaften finden, wenn wir mich öffnen würden, würden wir Strände finden". Ich habe eine persönliche, tief in meine Seele eingegrabene Beziehung zu den tiefschwarzen Tiefen des Schwarzen Meeres, seit den Tagen, an denen ich den Geschichten meines Großvaters zuhörte. Das Schwarze Meer und seine Gewässer sind das wesentliche Element, das eine Vielzahl verschiedener Kulturen und Leben zusammenhält und miteinander verschmilzt. Und es ist der Ort, an dem ich meine Wurzeln habe. Trotz des dramatischen demografischen und kulturellen Wandels, den die Region durchläuft, hatte ich die starke Hoffnung, dass ich noch Reste meines Bulgariens, meiner Herkunft entdecken könnte. Und ich habe mich nicht getäuscht. In diesem Sinne ist die Assoziation des Schwarzen Meeres mit dem Festival, als das wesentliche Element, in dem so viele verwurzelt sind, gedeihen und geschützt werden, für mich sehr klar.

Die Ausstellung "Dreams The Black Sea" von Suzan Pektaş ist in der Leica Galerie Zingst zu sehen und zwar vom 15. Mai bis zum 15. August 2021.

Fotos © Suzan Pektaş

Website der Fotografin: www.suzanpektas.com

Interview per email: Edda Fahrenhorst

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