"Ich habe teilweise völlig fremde Menschen angesprochen.“ Interview mit der Fotografin Sandra Junker

"Ich habe teilweise völlig fremde Menschen angesprochen.“

Worauf legen Menschen Wert, wie sortierten die Generationen und was für Produkte kaufen sie?

All diesen Fragen geht Sandra Junker in Kapstadt, London, Paris und Deutschland nach und lädt zum Blick hinter die Kulissen der jeweiligen Alltags-Ess-Kultur ein.

Was für Überraschungen das kulinarische Seelenleben dabei bereithält hält, und was sie selber im Kühlschrank aufbewahrt – das verrät die Fotografin im Interview.

horizonte zingst: Mit welchem Bild und warum hat Deine Strecke: Zeig’ mir Deinen Kühlschrank… angefangen?

Sandra Junker: Am Ende meiner Ausbildung zur Produkt- und Werbefotografin wurde uns in der Berufsschule die Aufgabe gestellt, eine freie Reportage über den Zeitraum eines ganzen Jahres zu fotografieren.

Zur gleichen Zeit bekamen wir in dem Fotostudio, in dem ich gearbeitet hatte, einen neuen Retro-Kühlschrank. Während wir diesen einräumten, stellte ich mir die Frage, was wohl andere in ihren privaten Kühlschränken haben.

Gepackt von der Idee entstand die Serie “Zeig mir deinen Kühlschrank und ich sag dir wer du bist!”. Der Titel wurde leider auf Englisch zu einem Zungenbrecher, so wurde daraus kurz: “Show me your fridge!”.

Nach der Ausbildung pausierte ich mit dem Fotografieren der Serie. Doch während eines achtmonatigen Aufenthalts in London und meiner damals neu entdeckten Glutenunverträglichkeit, wuchs mein Interesse an Ernährung und am bewussteren Kaufverhalten. Als dann auch noch eine Mitstudentin begeistert auf mich zukam und mir mitteilte, dass sie durch Zufall auf meine Serie gestoßen war und mir anbot ihren Kühlschrank zu fotografieren, wurde die Serie wieder zum Leben erweckt.

Show me your fridge!

Der allererste Kühlschrank

Die „Tupper Omi” war meine allererste Probandin, die für meine Kühlschrankserie Model gestanden hat.Sie musste damals sehr viel Geduld mit mir haben, da ich mich zu dem Zeitpunkt noch in der Findungsphase befand.

Hintergrund-Story, wie es zum Namen “Tupper Omi” kam: Die Kühlschrankserie wurde auch im Radio bei uns in Rheinland-Pfalz als Thema aufgegriffen. Eines der besprochenen Bilder der Serie zeigte eine „Omi” und ihren Kühlschrank mit vielen Frischhaltedosen. Sie wurde liebevoll von einem Moderator „Tupper Omi” genannt. Den Spitznamen, so wurde mir gesagt, wurde sie so schnell nicht mehr los.

Kühlschrank mit vielen Frischhaltedosen

Das erste Bild ist vor rund 10 Jahren entstanden, danach folgten bis heute rund 50 weitere - was fasziniert Dich an den Kühlschränken?

Mich fasziniert unter anderem der Prozess, der durch meine Anfrage, den Kühlschrank zu fotografieren, entsteht. Die Leute fangen meist zum ersten Mal an den Kühlschrank als Raum wahrzunehmen, der Privates preisgibt.

Neben dem Prozess finde ich natürlich interessant wieviel man anhand des Kühlschrankes eigentlich ablesen kann: Zum Beispiel ob jemand viel oder wenig kocht, auf bewusste Ernährung Wert legt, wo die Menschen leben, wie viele Menschen den Kühlschrank verwenden etc. Auch finde ich spannend, wie die Menschen ihren Kühlschrank sortieren und welche „Geschichte” manche Sortierung erzählt.

Man kann einfach immer wieder kleine Details finden, die man beim ersten hinsehen gar nicht so gesehen hat. Auch faszinieren mich immer wieder die Menschen, die hinter den Kühlschränken stecken und die ich durch mein Projekt kennen lerne.

Details faszinieren an den Kühlschränken

Wie findest Du Deine Protagonistinnen und Protagonisten?

Ich versuche immer die unterschiedlichsten Protagonisten zu finden: Alleinstehende, Familien in unterschiedlichen Größen, Wohngemeinschaften, Pärchen, Künstlerinnen, Alt und Jung.

Dabei habe ich teilweise völlig fremde Menschen angesprochen, die in einem Laden, Café oder ähnlichem gearbeitet haben. Manche habe ich auf einer Ausstellung getroffen, mit manchen bin ich befreundet, manche wurden mir vermittelt…

Nicht immer war es einfach Leute von meiner Kühlschrank-Idee zu begeistern. Als ich mit der Serie begonnen hatte, war mir nicht bewusst, dass das Innere eines Kühlschranks für viele doch sehr privat war und ist. Oft habe ich mich mit Menschen unterhalten, die sich erst nach meiner Anfrage mit dem „Raum des Kühlschranks” beschäftigt haben und es Ihnen auch erst in diesem Moment bewusst wurde, dass sie mir etwas Intimes für meine Serie öffnen.

Doch glücklicherweise bin ich auf viele Menschen gestoßen, die mir ihren Kühlschrank gezeigt haben und mich an dessen privatem Inhalt teilhaben lassen. Dabei habe ich spannende Menschen kennengelernt und stehe mit vielen noch heute in Kontakt.

Nachdem ich Fotos in London und Mainz gemacht habe, wollte ich noch mehr sehen! Nach den acht Monaten in London ging es für mich für drei Monate nach Kapstadt und wenige Monate später für vier Monate nach Paris. In jeder Stadt nahm ich die Reportage auf.

Besonders spannend fand ich den Kontrast, den z.B. ein Kühlschrank aus Kapstadt zu London hatte und wie sich die „Geschwindigkeit” einer Stadt auch auf das Kaufverhalten der Menschen auswirkt. Auch war es spannend zu sehen, wie sich das Stadt- und Landleben und die Entfernung zum nächstgelegenen Supermarkt auf die Befüllung des Kühlschranks auswirken.

Kühlschrank Kapstadt

Wie gehst Du bei dem Shooting mit den Menschen und fotografisch vor?

Ich versuche meist einen „Ausschnitt“ aus der Wohnung zu finden, der die Wohnsituation oder die Persönlichkeit der Personen gut widerspiegelt. Meistens mache ich zwei verschiedene Porträts an unterschiedlichen Orten in der Wohnung.

Das erste mache ich direkt am Anfang. Dann ist es häufig so, dass wir uns noch unterhalten und noch besser kennen lernen. Dann mache ich das zweite Porträt. Die meisten sind dann viel lockerer und ich konnte mir während des Gesprächs einen anderen Blick auf die Wohnsituation verschaffen.

Je nachdem, wie der Kontakt zustande gekommen ist, ist es oft erst wie ein Blind-date, man muss sich erst kurz kennen lernen, um die Persönlichkeit kennen zu lernen und so auch zu verstehen, was ein geeigneter Ort für das Porträt ist. Wenn die Lichtverhältnisse es zulassen, versuche ich immer mit natürlichem „vorhandenem“ Licht zu fotografieren.

Bei den Kühlschränken hingegen versuche ich diese immer aus möglichst „gleicher” Perspektive zu fotografieren. Egal ob ein Licht im Kühlschrank bereits vorhanden war oder nicht: Ich habe den Kühlschrank immer mit einem Aufsteckblitz fotografiert, um eine möglichst „neutrale” Aufnahme zu erhalten, damit die Betrachter sich ausschließlich auf die Gegenstände im Kühlschrank konzentrieren können.

Kühlschrank fotografiert

Was war der haarsträubende Kühlschrankfund und was der skurrilste?

Ich glaube, das ist eine sehr individuelle Beurteilung. Für mich persönlich war es etwas besonderes, in London ein Handtuch im Kühlschrank zu finden oder in Madrid ein riesiges Bierglas mit Mayonnaise.

inneres eines Kühlschrankes in Madrid/Spanien

Und last but not least: Wie sieht es in Deinem eigenen Kühlschrank aus?

Meinen Kühlschrank teile ich mir mit meinem Freund und meiner kleinen Tochter. Dieser ist meistens am Wochenende gut mit Einkäufen vom Wochenmarkt gefüllt. Öffnet man meinen Kühlschrank hingegen kurz vor dem Wochenende, findet man oft einen „gut sortierten” Kühlschrank vor.

Da wir mitten in der Stadt wohnen, kaufen wir kaum auf Vorrat, sondern nach Bedarf. Wie bei anderen Fotografen aus der Serie finden sich Filmrollen in dem oberen Fach der Kühlschranktür. Zusätzlich findet man dort gekühltes Wasser und ein paar Nahrungsergänzungsmittel.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst per E-Mail
Webseiten der Fotografin: https://www.sandrajunker.de/

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