Die Bilder waren einst als Kritik gedacht Rebecca Rütten im Interview

Die Bilder waren einst als Kritik gedacht

Rebecca Rütten kombiniert das Thema Fast Food mit Motiven, die sich an die Renaissance-Malerei anlehnen–ihre Strecke heißt: „Contemporary Pieces".

Ihre Bilder erreichen Menschen aller Altersgruppen und Milieus, woran das liegen könnte, was sie selber über Fast Food denkt und wie sie die Strecke fotografiert hat, verrät die Berliner Fotografin im Interview.

horizonte zingst: Contemporary Pieces - mit welchem Gedanken hat die Strecke angefangen?

Rebecca Rütten: Lebensmittel - auf Schönheit gepimpt und für den Massenkonsum getrimmt. Als ich in 2013 für neun Monate in der USA lebte, wurde mir bei den alltäglichen Supermarkt besuchen bewusst, wie stark Lebensmittel verändert werden. Sich in den USA gesund zu ernähren ist kostspielig, unbehandelte Lebensmittel gibt es nur im Bioladen.

Wer nicht viel Geld aber großen Appetit hat, wird im Fast Food Restaurant fündig. Denn, sich mit Massen an Fast Food einzudecken, ist vergleichsweise günstig. Das führt dazu, dass zwei Drittel der US-Amerikaner übergewichtig sind. Rund 36 Prozent der Erwachsenen adipös, ebenso 17 Prozent der Kinder. (Quelle: https://www.ifb-adipositas.de/adipositas/entwicklungen)

Mit dem Ursprungs-Gedanken ein Fotoprojekt über das Thema Fastfood zu machen, begann ich zu recherchieren.

Contemporary Pieces von Rebecca Rütten

Hast Du konkrete Vorbilder aus der Malerei gehabt oder hast Du frei den Stil kopiert?

Um Ideen für eine mögliche Umsetzung zu finden, verbrachte ich viel Zeit in Bibliotheken und studierte Bücher über die Stillleben der alten Meister. Zunehmend fand ich die Idee spannend, Fast Food ähnlich wie die Malerei aus den Büchern zu inszenieren. Besonders inspiriert war ich von den Werken von Merisi da Caravaggio, Pieter Claesz, Floris van Dyck und Juan Sánchez Cotán.

Fotoserie Contemporary Pieces

Warum die Renaissance?

Bei der Konzeption und Definierung meiner Idee wurde ich vor allem auf die Malereien aus der späten Renaissance und dem frühen Barock aufmerksam. Ihre Erotik, Inszenierung und gesamte Ausstrahlung fand ich interessant. Mit dem Aufstreben der Vanitas (Stilleben), wurde der Konflikt zwischen Mittelalter und Moderne – auf die Spitze getrieben.

Die italienischen und holländischen Maler beschäftigten sich mit der Mittel- und Unterschicht. Fast Food in den USA ist ebenso Konfliktbehaftet und richtet sich in meinen Augen an die Mittel- und Unterschicht. Es gibt viele Parallelen.

Fotos wie aus der Renaissance und dem frühen Barock

Wie bist Du fotografisch vorgegangen?

Nach meinen Recherchen in der Bibliothek, tastete ich mich vorsichtig an das Thema heran. Um minimalistisch zu bleiben, brachte ich nur vorsichtig fremde Elemente wie Pflanzen, Textilien und Dekoration in den Installationen unter.

Im Kontrastprogramm wollte ich mit den Gerichten übertreiben. Mich selbst hat es gefreut, wie die Mitarbeiter der Fast Food Restaurants schmunzeln mussten, wenn ich für hohe Beträge bei ihnen einkaufte. Ihre Menü-Fragen wurde immer mit “Extra groß” und “Den Inhalt dürfen Sie sich aussuchen” beantwortet. Zu gerne würde ich wissen, was sie sich dachten.

Die anonymen Menschen in den Portraits sind keine professionellen Modelle, sondern Bekanntschaften und Freunde mit denen ich eine Vertrauensbasis hatte. Ihre sichtbaren Tätowierungen und Piercings sind, ähnlich wie Fastfood, ein Merkmal der neuen Generation.

Während des Shootings stellten wir uns stetig die Frage, welche kreativen Entscheidungen die Maler getroffen hätten und schauten uns Referenzbilder an. Vor allem die Art und Weise wie Caravaggio Objekte und Körper darstellte, nahm ich mir als Vorbild. Die späteren Kompositionen entstanden frei nach unserem Gefühl und sind Interpretationen.

Und auch bei den Stillleben wusste ich vorab nie, welchen Weg ich genau wählen werde und ließ mich vom Entstehungsprozess leiten.

Fast Food Fotografie

Und was ist letztlich Dein Fazit aus der Strecke?

Im Stil der Vergangenheit entstand mit “Contemporary Pieces” eine Serie, die sich mit Problemen und Themen der Neuzeit beschäftigt. Probleme die scheinbar auch Jahre später an Relevanz nicht verloren haben. Bis heute gelingt es dieser Serie, Menschen aus allen Altersgruppen und Schichten zu erreicht.

Fast Food wird derart verändert, durchmischt, gezuckert und verfettet, dass es für mich die Bezeichnung als “Nahrungsmittel” verliert. Eigentlich wollte ich in der Serie nicht die Schönheit, sondern das Plastische und Künstliche an Fast Food in den Fokus rücken.

“Contemporary Pieces” war einst als Kritik gedacht, doch mittlerweile weiß ich, dass die Serie eine große Palette an Emotionen bei den Betrachterinnen und Betrachtern auslöst. Nicht selten kann auch Humor oder Faszination ein erster Schritt zu einer tieferen Auseinandersetzung sein.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst
Website der Fotografin: https://www.rebeccaruetten.com

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