„Kudzu hat trotz seiner Zerstörungskraft auch einen gewissen Kultstatus in der Region.“ Interview mit Sabine Bungert und Stefan Dolfen

„Kudzu hat trotz seiner Zerstörungskraft auch einen gewissen Kultstatus in der Region.“

Bäume erinnern an Gestalten aus einer Fabelwelt, Wälder wirken wie verzaubert. Doch der schöne Schein birgt eine bittere Wahrheit: Die hochinvasive Pflanze Kudzu wächst bis zu 30 Zentimeter am Tag. Erstmalig gegen Bodenerosion in den 1870er Jahren gepflanzt, erobert sie mittlerweile nicht nur Zäune, Eisenbahnschienen und Strommasten, sie überwuchert ganze Landstriche – und verändert damit die Landschaft des amerikanischen Südens nachhaltig.

Im Interview erzählen die Fotografen Sabine Bungert und Stefan Dolfen wie sie auf das Thema „Kudzu“ aufmerksam geworden sind, wie sie sich dem Phänomen fotografisch genähert haben und worauf sie beim Fotografieren besonders viel Wert gelegt haben:

Fotografie Zingst: Wann und wo seid Ihr das erste Mal auf die Pflanze und das Thema Kudzu gestoßen?

Sabine Bungert und Stefan Dolfen: 2018 hatten wir uns mit den Südstaaten beschäftigt, eine Region in den USA, die wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereist hatten. Bei der Recherche sind auf einen Blogeintrag gestoßen, in dem Bilder sogenannter „Kudzu-Monster“, überwucherte Bäume und Sträucher, die wie Phantasiegestalten oder Tiere aussahen, zu sehen waren und waren fasziniert. Das fanden wir spannend und sind dem Thema dann nachgegangen. .

Wie habt Ihr mehr dazu herausgefunden?

Hintergrundwissen haben wir durch Aufsätze von Biologen, die über die Beschaffenheit der Pflanze, Herkunft und Wachstumsfaktoren berichteten, bekommen. Aber sehr interessant fanden wir auch die sozialen Bezüge. Die Bevölkerung hat eine eher ambivalente Beziehung zu der Pflanze. Die Südstaatler lieben und hassen Kudzu zugleich, das sagen auch viele, wenn man die Leute vor Ort auf Kudzu anspricht. Kudzu hat trotz seiner Zerstörungskraft auch einen gewissen Kultstatus in der Region. Wir sind auf ein Essay zweier Autoren (Derek H. Alderman und Donna G’Segner Alderman) gestoßen, in dem die sozialen Bezüge sehr ausführlich beschrieben werden, das ist sehr interessant.

Ausstellung Kudzu zum Umweltfotofestival

Was ist für Euch ganz persönlich das Besondere, das fotografierenswerte an dem Thema?

Kudzu war aufgrund verschiedener Aspekte ein für uns hochspannendes Thema, inhaltlich und visuell: Kudzu ist eine hochinvasive Kletterpflanze, die die einheimische Vegetation verdrängt und somit die Biodiversität der Südstaaten bedroht - also ein Thema, dass das Eingreifen des Menschen in Naturräume aufgreift und auf das Verhältnis Mensch - Natur eingeht. Spannend fanden wir auch die soziokulturellen Aspekte: Kudzu wurde vor allem zur Zeit der Großen Depression in den 1930er-Jahren im Rahmen der staatlichen New-Deal-Programme weiträumig angebaut, um die Bodenerosion auf den Feldern zu stoppen. Zu dieser Zeit hatte Kudzu ein gutes Image, erst durch das unkontrollierte Wachstum veränderte sich die Haltung der Bevölkerung zu Kudzu. Am Beispiel der Geschichte über Kudzu erfährt man auch viel über die Geschichte der Südstaaten. Das beschreibt Robert Uhde sehr anschaulich und informativ in seinem Text in unserem Buch. Dann hat das Thema ein enormes visuelles Potenzial: Durch die Überwucherung ganzer Landstriche entstehen surreal anmutende Landschaften, überwucherte Bäume erinnern an Tiere oder Gestalten aus einer Fabelwelt, Wälder wirken wie verzaubert, das ist spannend zu fotografieren.

Wie habt Ihr Euch dem Phänomen Kudzu fotografisch genähert?

Wir hatten vorab schon durch die lokale online Presse, private Reiseberichte und frei zugängliches Kartenmaterial Orte markiert, die eventuell in Frage kommen. Manche haben sich bestätigt und waren sehr ergiebig, andere nicht. Wir haben aber auch Menschen vor Ort befragt, in Cafés oder Restaurants, manchmal sind wir sogar in Visitor Center gegangen und haben uns nach Kudzu erkundigt. Dort hat man sich nach dem ersten Staunen, warum wir uns für Unkraut interessieren, aber immer viel Mühe gegeben. Und dann sind wir einfach ganz viel herumgefahren. Fündig wurden wir oft in den Peripherien der Städte, weil die Pflanze dort nicht beseitigt wird. Man sieht Kudzu in der Region überall, aber nicht überall findet man einen guten Standort zum Fotografieren. Wir haben von einem sehr hohen Stativ aus fotografiert. Man muß die Orte finden, an denen man - ganz pragmatisch - das Equipment problemlos aufbauen kann und Kudzu Wälder, Häuser, mobile homes, Infrastruktur, usw. so lückenlos überwuchert, dass es faszinierend aussieht und sich die Szenerie durch Ausschnitt, Perspektive und Licht in ein Bild verwandeln lässt. Visuell war es uns sehr wichtig, die feinen Abstufungen des Bewuchses, alle Facetten des „Grüns“ herauszuarbeiten. Das geht nur, wenn die Sonne nicht scheint, um hartes Licht zu vermeiden. Das tat sie aber leider jeden Tag und dazu noch meistens am wolkenlosen Himmel. So hatten wir für die Aufnahmen nur die Dämmerungsphasen, früh morgens und abends, um zu fotografieren. Die sind im Süden sehr kurz, jeweils eine gute halbe Stunde lang. Tagsüber haben wir die Orte ausfindig gemacht, an denen wir dann früh morgens und abends fotografiert haben.

Wie ist Eure Erkenntnis aus der Fotografie des Projektes?

Die inhaltliche Vielschichtigkeit und die starke visuelle Kraft des Themas fasziniert uns nach wie vor. Unser Thema Kudzu erzählt zum einen von der zerstörerischen Wirkung dieser invasiven Art auf die Biodiversität der Südstaaten zum anderen aber auch von der überbordenden Kraft der Natur. Der Anbau von Kudzu hat zur Zeit der großen Depression Arbeitsplätze geschaffen, heute zerstört es viel Infrastruktur und ganze Anwesen. Dennoch hat Kudzu eine identitätsstiftende Wirkung für die Südstaatler. Kudzu hat also nicht nur die Landschaft der Südstaaten nachhaltig verändert, sondern ist längst auch im Alltag der Menschen angekommen.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst.

Website der Fotografen: https://bungert-dolfen-photography.de/

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