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„Ich wollte diese unfassbare Vielfalt essbarer Pflanzen sichtbar machen.“ Interview mit der Fotografin Jennifer Markwirth

„Ich wollte diese unfassbare Vielfalt essbarer Pflanzen sichtbar machen.“

Dazu hat sich die Fotografin Jennifer Markwirth das Ziel gesetzt, alle essbaren Nahrungspflanzen zu fotografieren. Schätzungen zufolge sind es 20.000. Die Exoten unter ihnen findet die Fotografin in Asia-Läden, in lokalen Märkten im Urlaub, im Palmengarten oder dem Botanischen Garten.

Was aus ihrem ursprünglichen Ziel, ein riesiges Stillleben mit allen essbaren Pflanzen zu fotografieren geworden ist, verrät die Fotografin im Interview:

Fotografie Zingst: Wann und warum hast Du angefangen Pflanzen zu fotografieren?

2012 habe ich ein Konzept erarbeitet, wie ich essbare Pflanzen bzw. ihre essbaren Teile für ein umfassendes Stillleben fotografieren könnte. Mein eigentliches Ziel war es nämlich, ein Stillleben mit allen essbaren Pflanzen zu produzieren. Ende 2012 hatte ich dafür die ersten Versuche gemacht, da hatte ich aber noch kein Makroobjektiv. Seit 2013 fotografiere ich in der Art wie heute.

Entwickelt hatte sich die Idee aus meiner Faszination für die erstaunliche Vielfalt der Pflanzen, die sich als Nahrungsmittel in der einen oder anderen Weise eignen. Das begann zunächst mit meinem Schritt zum Veganismus 2004. Zu dieser Zeit gab es noch nicht die Fülle an Ersatz- und Fertigprodukten wie heute und deswegen begann ich, mich mit pflanzlichen Nahrungsmitteln zu beschäftigen. Ich kaufte zudem viel öfter in Reformhäusern und Bioläden ein, die schon damals viel „Exotisches“ im Angebot hatten. Hierunter vor allem Hülsenfrüchte und Getreidearten etwa, die man zumindest früher nicht im gewöhnlichen Supermarkt gefunden hat, außerdem eine stetig wachsende Auswahl an Pflanzenmilchsorten. Auch die Kleinmarkthalle in Frankfurt mit ihren exotischen Gemüseständen hatte viel besonderes Gemüse, Obst und Gewürze zu bieten. Also war es als erstes der Veganismus, der – ganz anders als erwartet – meinen Speisezettel viel breiter machte statt schmaler. Als ich 2006 meine Arbeitsstelle in der Archäobotanik Afrikas am Institut für Archäologische Wissenschaften antrat, bekam ich es mit den umfangreichen botanischen Vergleichssammlungen zu tun, die ich betreute. In tausenden Döschen und Tütchen sowie auf Herbarbelegen offenbarte sich mir eine ungeahnte Vielfalt an Nutzpflanzen vorwiegend aus Afrika. Die vor Jahrzehnten auf lokalen Märkten gesammelten Gewürze dufteten teilweise noch immer intensiv! Irgendwann war dann die Idee da, dass ich diese Vielfalt fotografisch dokumentieren will.

Warum beschäftigst Du Dich schwerpunktmäßig mit den essbaren Pflanzen?

Ich wollte diese unfassbare Vielfalt essbarer Pflanzen für alle sichtbar machen und auch zeigen, wie die Pflanzen aussehen, die man vielleicht nur als gemahlenes Pulver aus dem Gewürzregal kennt. Ich wusste es ja selbst lange nicht und wollte das schon für mich selbst herausfinden. Ich dachte, dass das für viele Menschen genauso interessant und faszinierend sein muss und ich meine, dass die Menschen wissen sollten, was sie essen.

Als Veganerin hört bzw. hörte man aber auch einen Spruch besonders häufig: „Was isst du denn dann?“ so als gäbe es außer Fleisch nichts und alles außer Fleisch ist fade Beilage. Mir zeigte das, dass es vielen Menschen überhaupt nicht bewusst ist, was wir Pflanzen alles verdanken und wie mehr Pflanzen auf unserem Teller mehr Genuss bedeuten. Ich habe meinen Schritt zum Veganismus in den 2000ern als Genussbereicherung empfunden. Nun, da es zu allen Tierprodukten vegane Alternativprodukte gibt, werden viele, die sich heutzutage entschließen, vegan zu leben, diese Erfahrung aber vielleicht nicht mehr machen.

Strandausstellung zum Umweltfotofestival 2023

Und wie systematisch arbeitest Du Dich durch die Pflanzenwelt?

Eigentlich gar nicht. Wenn ich eine interessante Nahrungspflanze entdecke und sie mir fotogen erscheint, nehme ich sie mit und fotografiere sie. Wenn ich aber an einer Ausstellung zu einem bestimmten Thema arbeite, spezialisiere ich mich natürlich. Zuletzt war das wohl die Citrusausstellung im Palmengarten. Vom Palmengarten habe ich die schönsten Früchte der dort vom Gärtner gezüchteten Zitruspflanzen zum Fotografieren bekommen, deswegen hatte ich mal schwerpunktmäßig die fotografiert. Einen Sommer lang hatte ich hauptsächlich Tomaten fotografiert, weil eine Freundin in ihrem Garten ganz viele Sorten gezogen hatte, alles bildschöne, unwiderstehliche Früchte.

Wo und wie findest Du dabei die Exoten?

Ich bin sehr dankbar, dass mich der Palmengarten und der Botanische Garten in Frankfurt von Anfang an sehr unterstützt haben. Besonders von diesen Gärten habe ich exotischere Motive bekommen. Später kamen weitere Gärten hinzu, etwa der Wissenschaftsgarten der Goethe-Universität und das Tropengewächshaus in Witzenhausen. Einzelne Früchte, Knollen, Wurzeln usw. finde ich aber auch in Asia-Läden, der Kleinmarkthalle in Frankfurt oder in lokalen Märkten, wenn ich im Urlaub bin.

Zur Fotografie: Wie hast Du Dich fotografisch an Deine Bildsprache angenähert?

Mein ursprüngliches Ziel war es ja, ein riesiges Stillleben mit allen essbaren Pflanzen zu machen. Sie sollten wenigstens mit einem Samen (z.B. bei den Bohnen) oder einem Blatt (z.B. Salat) im Bild vertreten sein. Abgesehen davon, dass es viel zu viele sind, um sie alle beisammen zu legen, sind auch nicht alle essbaren Pflanzen zur selben Zeit erntereif.

Darum musste ich meine Motive separat fotografieren und zuletzt eine Kollage aus allen Einzelmotiven machen. Damit das funktionieren kann, müssen alle Motive einheitlich fotografiert werden: gleicher Hintergrund, gleiche Beleuchtung und Schärfe. Meine Lösung dafür war die Objektfotografie am Reprostativ unter Anwendung der Focus-Stacking-Methode. Für den schwarzen statt sonst üblicheren weißen Hintergrund entschied ich mich, weil ein weißer Hintergrund zu Lichtreflexen im Motiv führt. In schwarzer Umgebung leuchten die Farben intensiver. Erst später machte ich nicht nur Objektfotografie, sondern bemühte mich immer mehr, die einzelnen Pflanzen möglichst ansprechend zu porträtieren. Nun positionierte ich die Blätter und Blüten mit Hilfe von Präparationsnadeln und anderen Hilfsmitteln. Meine Fotos sollten so ästhetisch werden wie die alten botanischen Illustrationen.

Nach mehreren tausend Bilder - was hast Du im Laufe der Zeit fotografisch verändert bzw. verbessert?

Der Anspruch ist kontinuierlich gewachsen. Ich eifere den botanischen IllustratorInnen nach, aber mit den Mitteln der Fotografie. Aus dem bloßen fotografischen Dokumentieren von einzelnen Samen und Früchten sind umfangreiche Pflanzenportraits geworden, an denen ich viele Stunden arbeite und die ich nicht selten auch wieder verwerfe, weil es mir nicht künstlerisch genug ist. Überhaupt war am Anfang der künstlerische Anspruch nicht so stark ausgeprägt. Erst das finale Stillleben, wie ich es angestrebt hatte, sollte das Kunstwerk sein, nicht die einzelnen Pflanzenbilder, die nur Bausteine für etwas Größeres sein sollten. Das hatte sich bald geändert, seit ich die Einzelbilder auf meiner Website zeige.

Die Ausleuchtung, Positionierung und die Überarbeitung war relativ schnell ausgereift, hier entwickele ich nicht mehr so oft bessere oder neue Methoden. Die technische Ausrüstung ist allerdings über die Jahre hochwertiger geworden, insbesondere natürlich die Kamera. Ich bin noch gar nicht so lange beim Vollformat, was auch daran liegt, dass ich eben teils größere Bildstapel verarbeiten muss, wofür auch ein leistungsstarker Computer notwendig ist. Diese Investitionen habe ich erst spät gewagt.

Last but not least: Wie viele essbare Pflanzen gibt es und willst Du sie alle fotografieren?

Es gibt keine genaue Zahl. Ich hatte irgendwann 2 Schätzungen gefunden: 20000 und 60000. Sorten sind hierbei noch nicht berücksichtigt! Ich wünschte, ich könnte sie alle fotografieren, aber das würde ich nicht einmal schaffen, wenn ich mich hauptberuflich darum kümmern könnte. Ich werde einfach versuchen, so viele wie möglich in mein botanisches Kabinett der essbaren Pflanzen aufzunehmen.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst.

Website der Fotografin: folra-obscura.de

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