„Ich bin immer noch berührt von der Resilienz pflanzlicher Lebewesen.“ Interview mit der Fotografen Frederik Busch

„Ich bin immer noch berührt von der Resilienz pflanzlicher Lebewesen.“

Mit Erfolg porträtiert Frederik Buch Büropflanzen und schreibt ihnen in den Bildunterschriften menschliche Eigenschaften zu. Inzwischen ist seine Arbeit in einem Buch publiziert, hat internationale Resonanz und einen renommierten Buchpreis erhalten.

Im Interview spricht Frederik Busch über die Anfänge des Projekts, wie er passende Pflanzen findet und wo er noch fotografieren möchte:

Fotografie Zingst: Wie und wann hat Deine Arbeit an den „German Business Plants“ begonnen?

Frederik Busch: Im Herbst 2008, kurz nach Abschluss meines Medienkunst-Studiums an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe assistierte ich mehreren Werbefotografen in Südwestdeutschland. In Rastatt, nahe Baden Baden, machten wir Aufnahmen von High-End Mischpulten. Die Flure waren in hellen Grautönen gehalten, die Aktenschränke ebenfalls, die Wände weiß. Das einzig Grüne waren einzeln stehende Pflanzen, die auf und neben den Möbeln lebten. Dieses Arrangement wirkte auf mich mehr wie eine Installation in einem White-Cube als eine Arbeitsumgebung. Ich war berührt davon, wie skulptural und exponiert die Pflanzen in den Räumen platziert waren und beschloss, ihnen etwas Aufmerksamkeit zu schenken. In den Arbeitspausen gab ich vor, meine neue Kamera testen zu wollen und portraitierte einzelne Exemplare. Somit begann die Arbeit „German Business Plants“, die ich in den folgenden zehn Jahren weiterentwickelte.

Waren von Anfang an die Bildunterschriften/Titel Bestandteil der Arbeit?

Es ist ein wichtiger Bestandteil meiner künstlerischen Praxis, Arbeiten mit Freund:innen und Kolleg:innen zu diskutieren. Mit meiner Studienfreundin Martha Steinfeld führte ich im Sommer 2009 solch ein Gespräch. Damals umfasste die Serie rund fünfzehn Portraits. Ich hatte die Ausdrucke auf dem Boden meines Ateliers ausgebreitet. Uns fiel ein Portrait auf, das ich in einem Fitnessstudio aufgenommen hatte. Es zeigte einen besonders kümmerlich wirkenden Drachenbaum, der seine halbvertrockneten Blätter in einer Herzform angeordnet hatte. Wir sprachen darüber, dass die Körperform der Pflanze wie ein visueller Hilferuf auf uns wirkte und wir kamen beide zu dem Schluss, dass diese Pflanze sehr einsam sein muss. Ich benannte das Bild „Heike ist einsam“, und charakterisiere seitdem die Körperformen der Pflanzen in einem kurzen Satz.

Und wie findest Du die Büropflanzen bzw. nach welchen Kriterien suchst Du sie aus?

Zunächst versuche ich regelmäßig Zeit in unterschiedlichsten Unternehmen und Büros zu verbringen, ohne dort fest angestellt arbeiten zu müssen. Dabei halte ich gezielt Ausschau nach Pflanzen, die eine besondere Körperform aufweisen, und gleichzeitig exponiert in einer reduziert gestalteten Umgebung leben. Wenn ich ein geeignetes Exemplar finde, dann portraitiere ich es aus unterschiedlichen Perspektiven, immer am aktuellen Standort, ohne Stativ und mit vorhandenem Licht. Manchmal räume ich ein paar Sachen weg, die die Bildkomposition stören. Im Atelier treffe ich dann eine Auswahl, drucke sie aus und hänge sie an die Wand. Ich betrachte die Bilder lange und überlege mir passende Beschreibungen. Das tue ich so lange, bis eine vermenschlichende Charakterisierung präzise sitzt. Dieser Vorgang kann eine Minute oder einen Monat in Anspruch nehmen.

Wie erarbeitest Du Dir die Bildtitel?

Wenn ich die Aufnahmen sichte und mich für ein bestimmtes Bild entschieden habe, dann stelle ich mir die Frage, auf welche Charaktereigenschaften die Körperform der Pflanze schließen ließe, wenn diese Pflanze eine menschliche Person wäre. Wie wirkt sie grundsätzlich? Aufstrebend, suchend oder gebeugt? Vital, gesund, vor Kraft strotzend? Oder eher kränkelnd und entkräftet, oder resigniert? Weiß die Pflanzen-Persönlichkeit was sie will, oder ist sie gerade überfordert und ein bisschen verwirrt ? Wer würde diese Person mögen? Wie würden die garstigen Kolleg:innen aus der Personalabteilung über diese Person tratschen? Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein einfacher Aussagesatz, den ich möglichst trocken und präzise formuliere. Im letzten Schritt erhält die Pflanze ihren Vornamen, der die Aussage der Charakterisierung nochmals verdichtet oder ironisch bricht.

Du hast sehr lange an der Serie gearbeitet - was reizt Dich immer wieder daran?

Am Anfang war es nicht ganz einfach. Schon im Studium konnte ich meine Arbeit in führenden Magazinen publizieren. Denn die meisten Unternehmen, die ich ansprach, hatten Angst vor einer negativen Darstellung. Darum musste ich inkognito fotografieren, oder eben in der Rolle des Fotoassistenten. Oder war ich auf Unternehmen angewiesen, die mein Anliegen und meine Arbeit nicht ernst nahmen. Später habe ich gezielt Freunde angesprochen, die in Büros und Agenturen arbeiteten, und mir nach Feierabend Zugang verschafften. Nachdem die Serie umfangreicher wurde und ich sie in einigen Kunsträumen zeigen konnte, wurde es einfacher. Das internationale Kulturzentraum Kampnagel in Hamburg war die erste städtische Institution, die mich direkt ansprach und einlud Pflanzen in den Büros zu fotografieren. Inzwischen ist die Arbeit in einem Buch publiziert, hat internationale Resonanz und einen renommierten Buchpreis erhalten. Ein eigenwilliges fotografisches Projekt in mehr als einer Dekade zu einem Erfolg zu führen hat mich geprägt. Dies gibt hoffentlich nicht nur mir, sondern auch jungen Fotograf:innen und Künstler:innen den Mut, an einer abwegigen Idee zu arbeiten und diese Arbeit konsistent weiterzuführen, auch wenn sich nicht unmittelbar ein nachhaltiger Erfolg einstellt. Ich selbst portraitiere nach wie vor Pflanzen in Betrieben, nur nicht mehr ganz so häufig wie früher. Ich bin immer noch berührt von der Resilienz pflanzlicher Lebewesen und gleichzeitig fasziniert von der menschlichen Fähigkeit, die Gestalt von Pflanzen nachvollziehbar zu interpretieren.

Und wie geht die Serie weiter?

Ich würde wirklich gerne Betriebspflanzen in anderen Kulturen und Ländern portraitieren und die entstehenden Serien in Buchform publizieren. Neuseeland, Japan, Brasilien und die USA reizen mich dabei besonders.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst.

Website des Fotografen: www.frederikbusch.com

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