"Die Tiere sind Opfer, aber ich möchte sie gerne als Helden zeigen!" Flucht aus der Massentierhaltung

"Die Tiere sind Opfer, aber ich möchte sie gerne als Helden zeigen!"

Mit dem Projekt „Animal Escape Plan“ erzählt der Fotograf Nikita Teryoshin Geschichten von Tieren, denen die Flucht aus der Massentierhaltung gelungen ist. Im Interview verrät er mehr.

Mit dem Projekt „Animal Escape Plan“ erzählt der Fotograf Nikita Teryoshin Geschichten von Tieren, denen die Flucht aus der Massentierhaltung gelungen ist.

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 760 Millionen Landtiere geschlachtet. Ein paar von ihnen entgehen diesem Schicksal – oft auf wundersame Weise. Und diese Geschichten erzählt der Fotograf mit seinen Portraits von zum Beispiel Felix, Wolfgang, Pia oder auch Ferdinand. Was ihn zu der Serie bewegt und wie die Bilder gemacht hat, erzählt Nikita Teryoshin im Interview.

horizonte zingst: „Animal Escape Plan“ – wie bist Du auf das Thema gestoßen?

Nikita Teryoshin: Vor einiger Zeit habe ich eine große Arbeit zum Thema Milch und Milchkühe mit dem Titel „Hornless Heritage“ fotografiert. Direkt danach begann ich, noch intensiver zum Thema Tierhaltung und zu der grundsätzlichen Frage zu recherchieren, wie wir Menschen mit Tieren umgehen.

Dabei bin ich auf die so genannten Lebenshöfe gestoßen – über deren Websites und Instagram-Feeds habe ich dann viel über die Vorgeschichten der verschiedensten Tiere gelesen, die aus der Massentierhaltung, aus Laboren, aus Pelzzuchtfarmen und so weiter bei den Höfen angekommen sind.

Derart inspiriert war mein erster Gedanke zu der Strecke „Animal Escape Plan“: Die Tiere sind Opfer, aber ich möchte sie gerne als Helden zeigen! Und wollte herausfinden, wie die Tiere ticken, wie sie sich verhalten.

Milchkühe mit dem Titel „Hornless Heritage“

Fotografiert hast Du auf verschiedenen Lebenshöfen – wie bist Du mit ihnen in Verbindung getreten und wie kann man sich die Arbeit und Atmosphäre dort vorstellen?

Im ersten Schritt habe ich immer meine Milchkuh-Geschichte geschickt und die neue Idee erklärt. Sie waren alle offen, aber eigentlich zu beschäftigt, sich um einen Fotografen zu kümmern. Ich bin also oft hingefahren und habe einfach geschaut, was wann und wie geht – wie bei einer normalen Reportage auch.

Die Stimmung auf den Höfen hat mir sehr gut gefallen, sie war überall sehr friedlich – das sind alles Orte, an denen ich mich selber sehr gerne aufgehalten habe, denn die positive Energie der friedlich lebenden Tiere ist direkt spürbar gewesen.

Schicksal eines Mastschweins

Tiere zu fotografieren braucht viel Geduld – wie bist Du vorgegangen?

Zuerst habe ich vor allem einige fotografische Tests gemacht um zu schauen, wie ich die Stimmung erzeugen kann, die ich mir wünschte: Ich wollte keine Bauernhofidylle zeigen, eine gewisse Gefahr sollte im Hintergrund mitschwingen und vor allem sollten die Bilder als Metapher für das Grundgefühl Flucht funktionieren. Das hat eine ganze Weile gedauert, aber irgendwann war das Vorgehen klar.

Für die Fotos dann waren wir immer zu dritt (mindestens) – die Assistierenden waren für das Licht zuständig, die Tiere durften sich frei bewegen und ich bin der Bewegung ganz intuitiv mit meiner Kamera gefolgt. Nach einigen Versuchen hatten wir Menschen uns dann soweit eingegroovt, dass wir wussten, was für das Bild nötig ist und haben dann mit den Tieren zusammen für das beste Bild eine Art fotografisches Ballett aufgeführt. Ganz wichtig für mich dabei: Ich habe alle Tiere auf Augenhöhe fotografiert und die Perspektive von oben (herab) vermieden.

Slogan „Rettet die Weihnachsgans“ auf den Hof Sonnenwende in Österreich

Welche Situation, welches Tier hat Deine Geduld strapaziert?

Da war die Kuh mit Namen Chaya, die mega aggressiv ist – sicher ein Ergebnis ihrer Geschichte: Sie hat sich ihr Leben regelrecht auf dem Schlachthof erschrien. Die Tierärztin hatte in der Situation so großes Mitleid mit ihr, dass sie den Umzug auf einen Lebenshof forcierte. Beim Fotografieren jedenfalls bin ich am Ende sogar vor der Aggression der Kuh weg gerannt. Aber das Foto konnte ich vorher machen.

weiße Stier von Wegscheid Erdlingshof in Bayern

Gibt es ein Tier, mit dem Du besonders gut klargekommen bist?

Sogar mehrere: Ferdinand – der als elf Monate alter Stier aus der Tötungsgasse eines Schlachthofes in den angrenzenden Wald floh – war eine schöne Begegnung, mit ihm sind wir extra zurück in den Wald gegangen, um seine Geschichte zu erzählen.

Oder Wolfgang und Constanze, Truthahn und Pute, ein sehr individuelles Paar – die Arbeit mit ihnen hat Spaß gemacht. Die Puten waren insgesamt sehr neugierig. Leider musste Wolfgang kurz nach unserem Besuch eingeschläfert werden – die Last seiner überzüchteten Brust mit hohem Fleischanteil war zu groß geworden.

Puter vor dem Mastbetrieb gerettet

Und last but not least: Was ist Dein ganz persönliches Fazit aus Deinem Projekt?

Es gibt ein paar Gedanken, die mir durch den Kopf gehen: Zuerst einmal habe ich durch das Projekt einen nochmal krasseren Respekt vor den Tieren gewonnen – was für individuelle Lebewesen. Dann gab es die Erkenntnis, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2019 rund 760 Millionen Nutztiere in Deutschland geschlachtet wurden.

Eine mikroskopisch kleine Anzahl dieser Tiere schafft es jedes Jahr, der Statistik zu entkommen, manchmal auf abenteuerliche Weise. Vor allem aber denke ich darüber nach, dass auch den so genannten domestizierten Tieren eigentlich Autonomie zusteht, dass sie diese aber nicht erreichen können – sie sind so gezüchtet worden, dass sie größtenteils gar nicht mehr ohne den Menschen überleben würden.

Trotzdem soll „Animal Escape Plan“ in erster Linie von Mut und Freiheit erzählen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst per E-Mail
Website der Fotografin: https://nikitateryoshin.com/

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