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„Essen ist Luxus“ Essen ist Luxus und eine weltweite Lebensmittelverschwendung

„Essen ist Luxus“

Klaus Pichler überschreitet in seinem Projekt „One Third“ die Haltbarkeitsgrenze, um die weltweite Lebensmittelverschwendung zu zeigen.

Dafür hat der Fotograf Klaus Pichler Lebensmittel wirkungsvoll inszeniert: Auf den ersten Blick sind die Bilder ästhetisch ansprechend – dass es sich dabei allerdings um verdorbenes Essen handelt, ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Wie die Bilder entstanden sind, verrät Klaus Pichler im Interview.

horizonte zingst: Was hat Dich dazu bewogen, zu dem Thema zu arbeiten?

Klaus Pichler: Ich habe einen Zeitungsartikel über die bekannte UN-Studie zur weltweiten Nahrungsmittelverschwendung gelesen. Bei dieser Untersuchung kam die Summe von einem Drittel heraus: Weltweit wird ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel verschwendet. Was an der Studie so überrascht, ist ja, dass die Zahl von einem Drittel weltumspannend die Gleiche bleibt, nur dass der Nahrungsmittelverlust an unterschiedlichen Stellen der Lieferkette vom Produzenten zum Verbraucher auftritt. In ärmeren Ländern hapert es an vernünftigen Transport- und Lagermöglichkeiten, während die Verschwendung in den reichen Ländern eher an der Einkaufspolitik der Supermärkte und am Konsumverhalten liegt.

Warum hast Du Dich für eine sehr ästhetische Bildsprache entschieden?

Um die Nahrungsmittel als Luxusprodukt zu präsentieren. Dafür habe ich mir die Ästhetik der Werbefotografie "ausgeborgt". Die Bilder der verrottenden Lebensmittel sollten möglichst edel, schön und perfekt inszeniert sein. Ich mache bewusst den Schritt zurück und zeige: Essen ist Luxus. Um das zu erreichen, habe ich die Schraube ein Stück angezogen und überdramatisiert. Das sind Stilmittel, die in der Werbung oft eingesetzt werden.

Es ist meine Intention, dass sich die Betrachter:innen gewissermaßen 'erwischt' fühlen - Nahrungsmittelverschwendung betrifft die meisten von uns. Schon mit wenig Aufwand lässt sich etwas dagegen tun, indem man etwa sein Einkaufsverhalten oder seine Ernährungsgewohnheiten ändert.

Was waren die größten Herausforderungen beim Fotografieren?

Für mich war die Arbeit an der Serie in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Ich habe mich ja bewusst entschieden, mit den verrottenden Nahrungsmitteln zu leben und deshalb in der Toilette meiner Wohnung einen Stapel aus Plastikcontainern errichtet. Darin sind die Nahrungsmittel für meine Zwecke dann „gereift“. Interessanterweise haben mich die Gerüche aber nie abgeschreckt oder überfordert. Mir war von Anfang an klar, dass das Teil des Projekts sein würde. Einzig beim Fleisch war es schwierig.

Ein Problem war für mich die gesundheitliche Gefährdung, die vom Schimmel ausging – es gibt ja viele Sporen, die allergische Reaktionen auslösen und Schimmelpilze, die stark krebserregend wirken. Als Folge davon bekam ich über die Dauer des 9-monatigen Projekts eine ziemliche Paranoia davor. Mindestens alle zwei bis drei Tage (besonders, wenn die Gerüche stark und die Bedrohung deshalb umso wahrnehmbar war) habe ich die Wohnung grundgereinigt. Insofern war es eine große Erleichterung, als ich die Serie endlich fertigstellen konnte.

Vor den verderbenden Nahrungsmitteln hat es mich aber nie geekelt. Im Gegenteil: Ich habe den Verrottungsprozess als extrem spannend empfunden und es sogar genossen, immer wieder die Deckel der Container zu lüften und zu sehen, wie sich die Nahrungsmittel darin verändert haben.

Inwieweit ist die Ernährung auch ein Teil dieses großen Überbegriffs Nachhaltigkeit?

Die Art, wie wir uns als Menschheit ernähren, ist einer der größten Hebel, die wir bedienen können, wenn wir unsere Lebensweise nachhaltiger machen wollen. Denn die Landwirtschaft, die für sieben Milliarden Menschen jeden Tag Nahrung hervorbringt, ist vermutlich der größte Einzelfaktor, den wir beeinflussen können. Und das tolle ist: Da kann jeder und jede mitmachen.

Wozu dienen die weiteren Angaben zu Entfernung, Wasserverbrauch etc.?

Ich wollte parallel zu den überästhetisierten Fotos etwas schaffen, das die Fotos wieder auf den Boden der Realität zurückholt und habe deshalb die 'persönlichen Daten' jedes abgebildeten Nahrungsmittels recherchiert. Die Daten illustrieren die Eigenheiten der globalisierten Nahrungsmittelproduktion und machen deutlich, wie viel Aufwand es bedeutet, dass unser tägliches Essen ständig verfügbar ist. Dadurch ist das Ausmaß und die Dimension der Nahrungsmittelverschwendung noch viel erschreckender.

Ein weiterer Aspekt meiner Serie sind die Nahrungsmitteltransporte. Ich habe alle fotografierten Produkte ganz regulär im Supermarkt gekauft und von dort retour zu ihrem Ursprung verfolgt. So wird deutlich, wie viele Kilometer die Nahrungsmittel schon auf dem Buckel haben, bevor sie im Supermarkt landen - und da gibt es durchaus bedenklich stimmende Funde wie Knoblauch aus China oder Zwiebeln aus Neuseeland.

Das Interview führte Edda Fahrenhorst per E-Mail
Alle Bilder: Klaus Pichler
Website des Fotografen: https://klauspichler.net/

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