"Die Arbeit ist weder ein Plädoyer für die Jagd noch ist sie Kritik an ihr" Trophäenjägerin sitzt auf dem Bett

"Die Arbeit ist weder ein Plädoyer für die Jagd noch ist sie Kritik an ihr"

Wann haben Sie das erste Mal
von den Texotics gehört?

Mélanie Wenger: Ich beschäftige mich seit einem Jahr- zehnt mit Naturschutzfragen. Bei einer Auftragsarbeit in Simbabwe rund um das Thema Jagd hörte ich von texani- schen Ranches, die exotische Wild- tiere auf ihrem Land jagen lassen woll- ten. Das klang für mich so absurd, dass ich weiter nachforschte. Ich tauche gerne in eine Welt ein, die ich zunächst nicht verstehe, und hinterfrage die Handlungen von sehr eigenwilligen Persönlichkeiten. Ich will nicht Partei ergreifen, sondern die Komplexität des Menschen verstehen und zeigen. Erik Grimland, die Hauptfigur meiner Serie Sugar Moon, ist einer dieser Cha- raktere. Mit seiner Geschichte wollte ich diese besondere Gemeinschaft
im Süden der USA und ihre Jagdkul- tur vorstellen.

Vermutlich ist das eine geheime Welt. Wie sind Sie mit den Ranchbe‐ sitzern in Kontakt gekommen?


Ich habe versucht, meine Kontakte zu aktivieren, bin aber wie üblich auf Widerstand gestoßen. Schließlich ha- be ich eine große Anzahl der 500 texa- nischen Ranches angeschrieben,

von denen bekannt ist, dass sie exoti- sches Wild besitzen. Die Recherche dauerte Monate. Schließlich antwor- tete Erik. Er ist sich durchaus bewusst, dass die Leute ihn für das, was er tut, hassen, aber das ist ihm ganz offensicht- lich egal. Er lud mich auf seine Ranch ein; ich kaufte ein Flugticket.

Wie ging es weiter?

Ich bin am 3. Januar 2018 mit einem Koffer und ohne Rückflugticket in Texas gelandet. Wir hatten vereinbart, uns auf der Dallas Safari Club Con- vention zu treffen, der größten Jagd- messe des Landes. Er hatte einen An- hänger voller Mufflons dabei, die er für eine zukünftige Jagd gekauft hatte. Wir fuhren sechs Stunden nach Nor- den, bevor wir Turkey, Texas, erreich- ten. Ich habe die Arbeit und das Leben auf der Rockin G Ranch etwa drei Jahre lang dokumentiert, ebenso wie die Branche im Allgemeinen: die gro- ßen Ranches im Süden, die Ausrüster und die jungen Jäger.

Welchen Fragen sind Sie bei der Arbeit an der Serie nachgegangen?

Diese Arbeit ist weder ein Plädoyer für die Jagd noch ist sie Kritik an ihr. Sie ist ein bescheidener Versuch, die vielen Seiten dieser Praxis zu verstehen. Die legale Tötung eines Tieres ist eine Möglichkeit, viele von ihnen zu retten und darüber hinaus dazu beizutragen, große Gebiete der Wildnis zu erhalten, die zunehmend durch die demografi- sche Entwicklung und die ungezügelte Urbanisierung bedroht sind. Dieses Argument ruft bei Tier- und Umwelt- schützern einen Aufschrei hervor. Kann man ein Tier töten, um andere zu retten? Spielt die Jagd eine Rolle bei der Arterhaltung von Wildtieren und der Rettung der Umwelt? Das Ge- schäft mit der Trophäenjagd in Afrika und den Vereinigten Staaten ist kolos- sal. Aber wohin fließt das Geld wirklich? Die Geschichte hat auch einen wesent- lichen wirtschaftlichen Aspekt. Die Jagd auf die exotischen Wildtiere ist eine milliardenschwere Industrie und über- all auf der Welt eine wichtige Einkom- mensquelle, die, besonders in Afrika, bedeutender als Fotosafaris ist.

Gibt es weitere Aspekte, die sie her‐ ausstellen wollten bei Ihrer Arbeit?

Neben dem Wirtschafts- und Natur- schutzaspekt stellt Sugar Moon auch die Verwirrung infrage, die zwischen Liebe und Besitz besteht. Bei der Trophäenjagd gibt es ein einzigartiges Konzept, bei dem die Jagd genauso wichtig sein kann wie die Trophäe. Das Tier, das man jagt, wird sofort in ein Objekt verwandelt. Doch die all- gegenwärtige Präsenz von Tieren im eigenen Zuhause führt zu einer tiefen Liebe zu ihnen. Letztendlich führt sie aber auch zu ihrem Tod. Das ist auch der Grund, warum ich diese Geschich- te als schizophren bezeichne.

Was hat der Titel der Serie, Sugar Moon, damit zu tun?


Sugar Moon ist der Titel eines Liedes von Bob Wills, einem Country-Musi- ker und -Songwriter, der in Turkey aufgewachsen ist. Eriks Ranch liegt et- was außerhalb dieser kleinen Stadt im Texas Panhandle. Wills’ Song handelt von der Liebe, aber eben genau auch von der Verwirrung, die zwischen Liebe und Besitz herrschen kann. Visuell gesehen ist die Gegend dort durch die Dürre gelb und gold, sodass man einen goldenen Mond sehen kann.

Wie schwierig ist es, objektiv zu bleiben?

Ist es überhaupt möglich? Wir neigen dazu, die Welt in Schwarz und Weiß zu sehen und uns daher für eine Seite zu entscheiden. In Bezug auf die Jagd gibt es eine klare Trennung zwischen den Befürwortern und den Gegnern. Mir ist klar geworden, dass man die Welt nicht wirklich sehen kann, wenn man nicht ihre Nuancen sieht.

Das Interview führte Katrin Iwanczuk.

Website der Fotografin: melaniewenger.com

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